Mittwoch, 22. September 2010

For as the sun is daily new and old

So my love is telling what is told. (Sonett 76)

Im Sonett 76 geht es wie in so gut in allen Sonetten Shakespeares um die Liebe. Die Liebe bei Shakespeare hat viele Gesichter: sie ist sehnsüchtig, ist oftmals einseitig und schmerzvoll (dann jedoch sehr intensiv und echt), manchmal vergänglich und willkürlich, manchmal wahrhaftig und ewig. In Sonett 76 wird die letztere, die wahre und unendliche Liebe, thematisiert. Ob es sich dabei um erwiderte oder einseitige Liebe handelt, ist nicht ersichtlich.

Der Sprecher des 14-Zeilers stellt eingangs die Frage, warum er immer nur von einem Thema schreibe, warum er nicht nach links oder recht schaue und sich nicht nach Veränderung sehne. Die Antwort auf die Frage gibt er selbst: „O, know, sweet love, I always write of you.“ Die Liebe und die Angebetete sind seine einzige Motivation zu schreiben, und so schmückt er seine Liebe und Liebste jeden Tag mit neuen Worten. In den letzten beiden Zeilen, die bei Shakespeares Sonetten als Schlussfolgerung, unumstößliche Wahrheit oder letzte Begründung fungieren, rechtfertigt der Sprecher die Motivwiederholung in seinem Werk mit folgendem Vergleich:

For as the sun is daily new and old,
So my love is telling what is told.

Der Sprecher vergleicht seine Liebe mit der jeden Tag aufgehenden Sonne. Die Sonne geht jeden Tag auf und ist jeden Morgen Dieselbe. Trotzdem hat sie sich verändert, ihr Stand ist nicht der Selbe, und auch der Tag, den sie bringt, ist nicht so wie der Vorrangegangene. So ist sie jeden Tag alt und neu. Die Liebe des Sprechers ist folglich auch alt und neu jeden Tag. Alt ist, dass sie genauso stark ist wie gestern, neu sind die Worte, in die der Dichter seine Liebe jeden Tag kleidet.

Ich denke jedoch, dass nicht nur die Worte der Liebe jeden Tag anders sind, sondern auch die Liebe selbst (sofern man davon ausgeht, dass sie ewig sein kann) jeden Tag ein anderes Gesicht hat – so wie die Sonne. Den Vergleich der Liebe mit der alten und neuen Sonne jeden Tag finde ich sehr passend und gelungen. Hat man jemanden gefunden, von dem man geliebt wird und den man zurückliebt, gibt diese Liebe die Gefühle von Vertrautheit, Sicherheit und Wärme. Die gleichen Gefühle gibt uns die Sonne, von der wir sicher sein können, dass sie morgen wieder aufgeht und uns auf vertraute Weise wärmt. Die Sonne ist ganz verständlich jeden Morgen da, und trotzdem freuen wir uns immer wieder über sie, wenn sie hinter dicken Wolken hervor lukt.

Natürlich ist die Liebe zwischen zwei Menschen nicht so selbstverständlich da wie die Sonne, wenn sie jedoch existiert, teilt sie viele Eigenschaften mit ihr. Neben der Beständigkeit und Sicherheit, die Sonne und Liebe ausstrahlen (das Alte), bringen auch beide jeden Tag Neues: Auch wenn die Sonne jeden Tag scheint, ist kein Tag wie der Andere. Es ist kalt oder warm, bewölkt oder strahlend hell und natürlich gibt es noch ganz viele andere Faktoren, die jeden Tag, trotz gleicher, alter Sonne besonders machen.

Genauso bringt die Liebe zwischen zwei Menschen nicht jeden Tag auch diese Liebe mit sich. Es gibt Streitigkeiten, Probleme, die den Himmel bewölken, es gibt Tage an denen die Gemüter heißer oder kühler sind und der Alltag mit seinen Anstrengigkeiten hindert uns oft daran, die Liebe, oder eben die Sonne jeden Tag zu genießen. Trotzdem, oder gerade deswegen bringt die Liebe, wie die Sonne, ein Licht in unser Leben, das in alter Vertrautheit jeden Tag für uns scheint und doch jeden Tag Neues, meist Schönes, bringt.

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